Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung

Jane Gerhard Dan Tucker Feminismus Cover Prestel

Überambitionierter Titel. Ambitioniertes Werk. Mag der Titel auch (etwas zu) vielversprechend sein, liefert „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“ aber auf jeden Fall einen sehr guten Überblick genau darüber.

Mittelsteile These, dass Begriffe wie „Suffragetten“, „Gender Pay Gap“, „Stonewall“ und „Paragraf 218“ nicht unbekannt sind, Namen wie Rosa Parks, Simone de Beauvoir und Rosa Luxemburg zumindest schon mal gehört wurden, dem 8. März reflexartig der entsprechende Welttag zugeordnet werden kann und es auch ohne Inanspruchnahme der Suchmaschine oder des Telefonjokers möglich ist, das Jahr zu benennen, in dem (zumindest hierzulande) das Wahlrecht für Frauen eingeführt wurde. Sollte dem nicht so sein, ist das a) ach herrjeh, weil b) nicht eben Ausdruck dafür, dass die Geschichte der Frauenbewegung bislang irgendwie von Interesse war. Mag alles Gründe haben, von denen jedoch nur wenige nachvollziehbar und noch weniger zu entschuldigen sind. Immerhin betrifft jene Bewegung und die ihr zugrunde liegenden Emanzipationsbestrebungen circa eine Hälfte der menschlichen Bevölkerung direkt und die andere zumindest indirekt. Und zwar in sämtlichen Lebensbereichen.

150 Jahre Feminismus: Viel dabei, aber nicht alles

Diese Erkenntnis ist ebenso wenig überraschend, wie sie neu ist. Und ja, es stimmt: Viel ist passiert, in Sachen Emanzipation. [Pause] Na? Auch über die Formulierung „ist passiert“ gestolpert? Zu Recht. Die korrekte Formulierung wäre: Viel wurde erkämpft. Einfach so passiert ist in Sachen Emanzipation nämlich mal so ungefähr gar nichts. Passiert ist allenfalls, dass es nötig wurde, zu kämpfen, weil Menschenrechte als (frauen)exkludierend verstanden und umgesetzt wurden. Emanzipation passiert nicht und ohne sie nicht viel bis gar nichts in Sachen Gleichberechtigung. Dies zeigt auch der bei Prestel erschienene Band „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“, in dem die amerikanische Feminismusforscherin Jane Gerhard und Mitherausgeber Dan Tucker, Autor diverser Bücher, die wichtigsten Strömungen und Entwicklungen aus 150 Jahren beleuchten und prägende Aktivist*innen der Bewegung porträtieren: Von den Suffragetten bis zu starken feministischen Stimmen von heute.

Feminismus in sechs Kapiteln

In sechs Kapiteln werden Themenfelder in den Blick genommen und illustriert, die sich in besonderem Maße auf das Leben von Frauen auswirk(t)en: Politische Rechte, reproduktive Freiheit, Ehe- und Eigentumsrechte, Gleichstellung am Arbeitsplatz, unterdrückende Vorstellungen von weiblicher Schönheit und entsprechender Darstellung in der Kunst, Diskriminierung aufgrund von ethnischer Herkunft oder Status, geschlechtlicher oder sexueller Identität. Beziehungsweise auch als Mehrfachdiskriminierung – also mit „und“ statt „oder“.

Jane Gerhard Dan Tucker Feminismus Prestel Inhalt 1
aus: „Feminismus. Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“ // Bildrechte: Prestel Verlag

Dabei ist der Ansatz der Herausgebenden, diesen Aspekten auf globaler Ebene nachzugehen, „unter Umständen ein wenig optimistisch“. Diese, der Einleitung zu entnehmenden Einschätzung, lässt sich nach Rezeption von „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“ bestätigen. Und zwar nicht nur „unter Umständen“, liegt der Fokus Gerhards und Tuckers doch ganz deutlich auf den USA und Großbritannien – zweifelsohne wichtige Ausgangspunkte und Quellen feministischer Strömungen und Entwicklungen, aber eben bei (welt)weitem nicht die einzigen. Zwar finden auch Bewegungen, Ereignisse und Errungenschaften in anderen europäischen, afrikanischen und vereinzelt auch asiatischen Ländern Erwähnung – was jedoch in Umfang und Tiefe hinter den Erwartungen zurückbleibt, die an den Untertitel geknüpft sind.

Layout Interruptus bei „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“

Was auch, sollte es da entsprechende Erwartungshaltung geben, zu kurz, weil zu wenig zur Sprache kommt, ist die berechtigte Kritik an der Bewegung, die auf einer Vielzahl von Strömungen basiert, von denen nicht wenige selbst exkludierende Forderungen stellten und rassistische als auch transfeindliche Tendenzen aufwiesen und noch immer aufweisen.
Besonders viel Gewicht hingegen, so die Herausgebenden, sei auf die Abbildungen, in Form von Fotos, Zeichnungen und anderen Kunstwerken gelegt worden, da sich diese besonders gut eignen, emotionale Botschaften zu transportieren, vor allem aber, so Gerhard und Tucker, die Besonderheiten einer Kultur, einer bestimmten Aufmachung, eines Auftritts und anderer Details, die einer Geschichte erst die Würze verleihen.

Aus der Mitte entspringt ein Bild. Und noch eins. Und noch eins …

Wer sich von „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“ nun ein Werk mit deutlich mehr Bild- als Textanteil verspricht, sei informiert: Dem ist nicht so. Tatsächlich überwiegt der textliche Anteil. „Besonders viel Gewicht“ kommt dem Bildmaterial aber insofern zu, als dass es sehr prominent platziert ist. Zum einen wurde für jedes Kapitel eine andere Farbe gewählt, zum anderen, man kann es nicht anders sagen, drängen sich die Abbildungen aufmerksamkeitsheischend zwischen den Fließtext – nicht selten direkt in den Satz – und ziehen das Augenmerk auf sich sowie die ihnen beigestellten, oft sehr ausführlichen Beschreibungen und Kontextualisierungen.

Erinnert ein bisschen an einen Flohmarktbesuch. Zumindest, wenn man ihn wie folgt besucht: Man geht mit einer Navigationsidee ran, um diese kurz später zu verwerfen, weil ein Stand spannender ist als der nächste, und man spätestens beim übernächsten vergisst, wo man schon war und die Routenneuberechnung Schwierigkeiten hat, hinterherzukommen.  Aber Bewegung ist ja, so heißt es, gesund – für’s Hirn sowieso. Schlecht ist dieses Layout Interruptus also nicht, allenfalls etwas unbequemer.

Glücklicherweise ist man frei zu entscheiden, wie (und ob) man sich „Feminismus. Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“ nähert. Wer einen informativen, nicht abschließenden Überblick bekommen will, streiche die Frage nach dem Ob.
Feminismus: ebenso anschlussfähig wie anschlussbedürftig. Beides: Band und Bewegung.

3,8 von 5 Gendersternchen

Jane Gerhard, Dan Tucker (Hrsg.): „Feminismus – Die illustrierte Geschichte der weltweiten Frauenbewegung“, Prestel Verlag, Hardcover, 256 Seiten, 175 farbige Abbildungen ISBN: 978-3-7913-8529-7, 32 € (Beitragsbild: Buchcover)

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